Je höher ihr eure Barrikaden zieht, desto stärker werden wir.
(Irisches Revolutionslied)

Antifragil bezeichnet das Gegenteil von fragil und schliesst alles mit ein, was von zufälligen Ereignissen oder Erschütterungen mehr profitiert als dass es darunter leidet. Nassim Nicholas Taleb geht in seinem Buch „Antifragilität“ (2013) jedoch in der Erklärung einen Schritt weiter und ordnet den Begriff in eine Triade fragil – robust – antifragil ein.

Fragil lebt von der Störungsfreiheit – das fragile Glas verträgt keine Störung oder Krafteinwirkung von aussen; bei einem robusten Gefäss spielt dies schlichtweg keine Rolle. Das Antifragile jedoch wächst an der Unordnung, am Widerstand. Ein typisches Beispiel dafür sind Bäume, die an dem Wind ausgesetzten Standorten deutlich kräftigere Festigungselemente ausbilden als an ruhigen.

Wesentlich an dieser Gegenüberstellung ist jedoch, dass diese nur relativ, nie aber absolut ist. Denn das Weinglas kann seine Fragilität beim Anstossen mit einem anderen durchaus positiv nutzen. Oder wie es Lukrez ausdrückt: „Der Narr ist, der glaubt, der grösste Berg ist so gross wie der grösste Berg, den er je mit eigenen Augen gesehen hat.“

Das Leben ist antifragil

Wir wollen in unserem Leben möglichst alles unter Kontrolle haben, auf alles vorbereitet sein und am liebsten würden wir wissen, was auf uns zukommt. Obwohl dies schwierig ist, wie schon Yogi Berra bemerkte: „Es ist schwer, Vorhersagen zu machen, besonders wenn es um die Zukunft geht.”

Taleb geht noch einen Schritt weiter und stellt jedes Streben nach einem ruhigen, vorhersehbaren Leben als Gefahr dar. Aus seiner Sicht ist es nicht sinnvoll, das Leben, oder Systeme generell, von (lebensnotwendigen) Stressoren zu befreien.

Im Gegenteil. Denn aus Rückschlägen können wir zusätzliche Motivation und Willensstärke gewinnen, die als zusätzliche Kapazitäten angesehen werden können – überschüssige Energie aus Überreaktionen aus Rückschlägen führte schon oft zu Innovation. Oder wie er schreibt: „Abwesenheit einer Herausforderung lässt die Besten der Besten schlechter werden.“

Und je mehr Energie dafür aufgewendet wird, seine Meinung und Gedanken zu kontrollieren, desto mehr kontrollieren die Meinungen am Ende einen selbst. Denn auch Information ist antifragil: „Sie nährt sich mehr von Versuchen, zu schädigen, als von Bemühungen, zu fördern. Zum Beispiel ruinieren viele ihren Ruf, indem sie versuchen, diesen zu verteidigen.“

Lebens.Punkt: Berg-Flockenblume auf Brambrüesch, 17. Juni 2018

Aus Unerwartetem lernen

Blicken wir auf unser Leben zurück – was hat uns weiter gebracht: Erfolge, Harmonie, Gewissheit, Ruhe? Oder waren es eher Rückschläge, Erschütterungen, Niederlagen, Ungewissheit, Unruhen? Ich stimme Taleb zu, dass das Zweite der Fall ist. Und auch bezogen auf unserer Förderer, dass wir von denjenigen Menschen am meisten profitiert haben, die uns schaden wollten – und damit gescheitert sind.

Eine gewisse Instabilität ist notwendig, um mehr Stabilität zu erreichen, beziehungsweise um permanent daran zu arbeiten, sich zu entwickeln, sein Leben zu gestalten. „Wenn ich morgens schon wüsste, wie mein Tag aussieht, käme ich mir ansatzweise tot vor.“ (Taleb).

Ebenso sind Fehler und Irrtümer Katalysatoren für unsere persönliche Entwicklung. Taleb ist überzeugt, dass jemand, dem viele Irrtümer – aber nie derselbe zweimal – unterlaufen sind, verlässlicher ist als jemand, der sich noch nie geirrt hat. Und das die Vermeidung von kleinen Fehlern nur die grösseren verschlimmern.

Oder wie es Yogi Berra in seiner Analyse festhält: „Wir haben den falschen Fehler gemacht.“

Über die Option zur Antifragilität

Wer Prognosen stellt, ist anfälliger auf Prognose-Irrtümer – die ultimative Option, über welche Antifragilität erreicht werden kann, ist die Freiheit. Dier Freiheit, sich von Prognosen zu lösen. Die Freiheit, das was kommt, auf sich zukommen zu lassen, die Freiheit, dann darüber so zu denken, so zu agieren und daraus die Schlüsse zu ziehen, wie es aus persönlicher Sicht angebracht ist. Einfach gesagt: Optionen zu haben.

Unser heutiges Bildungswesen hilft jedoch nicht, diese Optionalität zu lernen, sondern vielmehr, das Gespür dafür zu verlieren. Schon Seneca erkannte, dass wir nicht für das Leben lernen, sondern lediglich für die Schule. Denn vieles von dem, was andere wissen, ist es nicht wert, gewusst zu werden. Und vielleicht waren ja diejenigen, die als Schüler eines Denkers bezeichnet wurden, gar nicht seine Schüler im engeren Sinn, sondern vertraten einfach den gleichen Standpunkt.

Und Taleb zieht den Schluss, dass er das, was er in der Schule gelernt hat, schon längst vergessen hat; sich jedoch an das, was er jedoch aufgrund eigener Entscheidung gelesen hat, noch erinnert. Und legt gleich nach: „Nur Dummköpfe warten Antworten ab; Fragen sind nicht dazu da, um beantwortet zu werden.“

Und Pragmatiker Yogi Berra bringt es wieder auf den Punkt: „In der Theorie gibt es keinen Unterschied zwischen Theorie und Praxis; in der Praxis dagegen durchaus.“

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