In zehn Jahren wird uns 2025 als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem wir uns an ein vermeintlich «neues Normal» angepasst hatten, uns aber noch immer dagegen wehrten, dass nichts mehr so sein wird, wie es einmal war.
Als das Jahr, in welchem die Zukunft sich nicht so entwickelte, wie wir es eigentlich geplant hatten.
Doch was war 2025 anders als vorher – oder besser «vor ihr», der Pandemie?
Auf den ersten Blick waren es Kleinigkeiten, die sich geändert hatten, die jedoch in ihrer Wirkung zuvor meist unterschätzt worden waren. Wie der Wegfall der Grusskultur, welche die Schweiz als «Grüezi»-Land definiert hatte. Ausländische Touristen hatten sich in der Vergangenheit oft gewundert, dass sie in unserem Land auf der Strasse, auf Wanderwegen oder in Läden immer gegrüsst wurden, wenn sich ihr Weg mit einem anderen Menschen kreuzte.
Mit dem Auftauchen des Virus war dies mehr und mehr verschwunden – wohl aus Angst, sich anzustecken, wenn man den Mund öffnet… Dazu kam, dass die Menschen verstärkt auf Distanz gingen, wenn sie sich begegneten. Lieber einen Schritt neben den Weg und dort warten, statt einen anderen Menschen in zu geringer Distanz zu kreuzen, war die neue Devise.
Diese wachsende Distanziertheit zeigte sich jedoch auch anderen Bereichen. So fiel es den Menschen zunehmend schwer, sich im öffentlichen Verkehr neben fremde Menschen zu setzen, Maske hin oder her. Und auch die Tendenz, die schon früher beobachtbar war, sich in einem Restaurant am liebsten allein an einen Tisch zu setzen, verstärkte sich nochmals.
Viele Menschen zogen sich mehr und mehr zurück aus der Gemeinschaft, verbrachten ihr Leben in den eigenen vier Wänden. Zwar wurde es begrüsst, dass sich das kulturelle Leben nach dem Tiefpunkt bis 2025 wieder erholt hatte, vermehrt Veranstalter wieder den Mut fanden, ihre Events durchzuführen – doch die Menschen blieben trotzdem zuhause. Man hatte sich eine neue Bequemlichkeit zugelegt, die dadurch gefördert wurde, dass die meisten Anlässe auch in digitaler Form – und von zuhause aus – konsumiert werden konnten.
Dieser Rückzug manifestierte sich auch in einem Rückzug hinter die Masken, deren Verwendung sich bis 2025 zur Selbstverständlichkeit entwickelt hatte. Mehrheitlich. Im Bewusstsein, dass «es» nie ganz vorbei sein wird und immer wieder aufflammen kann, hatten sich die Menschen ihrem Schicksal ergeben.
Was dazu führte, dass das Lächeln nicht nur hinter den Masken, sondern auch von den Gesichtern verschwand. Was sich dort zeigte, wo Menschen sich ohne Gesichtsschutz trafen – in der freien Natur.
Auch die Wirtschaft hatte sich bis 2025 gut erholt, besser, als zuvor erwartet worden war. Nicht zuletzt, weil viele Unternehmen die Krise in den ersten Jahren der Pandemie für eine Reorganisation genutzt hatten. So wurde Mitarbeitenden auch nach den ersten beiden Jahren erlaubt, weiterhin zuhause zu arbeiten, wenn ihre Anwesenheit im Betrieb nicht unbedingt notwendig war. Dadurch konnte die erforderliche Infrastruktur reduziert werden, was sich, wie auch die Reduktion der Mitarbeitendenzahlen, auch auf die Kosten auswirkte.
Dieser Mechanismus spielte auch in Bildungsorganisationen, die sich zudem in der Lehre auf die Planungsunsicherheit beriefen und vermieden, zu schnell zum Präsenzunterricht zurückzukehren. Dann doch lieber auf Nummer sicher mit virtuellem Unterricht, der sich ja unterdessen einigermassen eingespielt hatte. Obwohl es unterdessen andere Möglichkeiten gegeben hätte – doch diese hätten wiederum zusätzliche Kosten verursacht.
Alle diese Veränderungen schienen auf den ersten Blick nicht gravierend und zeigten erst im Rückblick, was sich wirklich verändert hatte. Denn es war nicht nur das Verhalten der Menschen, die sich in ihrem Leben situativ anders verhielten als noch Jahre zuvor, das sich geändert hatte.
Es war auch eine neue Wertehaltung, welche die Gesellschaft prägte. Die Haltung, die bestimmt, was uns im Leben wichtig ist, woraus wir dieses aufbauen, was unsere Ziele und Visionen und unseren Umgang miteinander bestimmt.
Diese Haltung hat sich bis 2025 von einem Miteinander stärker zu einer Egozentrik entwickelt, die sich selbst ins Zentrum seines Handelns stellt. Dazu kam eine wachsende Polarisierung, die immer tiefer werdende Gräben in die Gesellschaft trieb. Toleranz und Respekt nahmen ab, andere Meinungen wurden nicht mehr akzeptiert und deren Träger zu Gegnern abgestempelt. Gegenseitig.
Auch wenn die Krise zuvor den Menschen bewusst gemacht hatte, dass ihr Leben nicht mehr so weitergehen würde, wie sie es sich immer vorgestellt hatten, konnten sie sich auch 2025 noch nicht damit abfinden, dass die neue Konstante «Veränderung» ist.
Denn so war es ja nicht abgemacht, dass es nun plötzlich verschiedene Realitäten und Szenarien der Zukunft geben sollte.
Und spätestens seit der Krise wusste man, was früher und was besser gewesen war. Viktor E. Frankl, der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, beschrieb dieses Phänomen des Festhaltens an der Vergangenheit als «Gewesensein», der sichersten Form des Seins. Denn wenn der Mensch keine Zukunft mehr hat (oder wie die Menschen während der Krise, sieht), wird für ihn die Vergangenheit zur eigentlichen Zukunft.
Die Unsicherheit der Gegenwart und erst recht der Zukunft hatte die Menschen dazu gebracht, sich Sicherheit in der Vergangenheit zu holen. Warum etwas ändern, das sich bewährt hatte, warum neue Wege denken, wenn die alten doch gut waren? Warum loslassen von dem was war, wenn das was ist, keinen Halt bietet?
Diese mangelnde Offenheit für Veränderung, die auch 2025 noch erkennbar war, hatte bereits Roger Willemsen beschrieben: «In jedem Leben kommt der Augenblick, in dem die Zeit einen anderen Weg geht als man selbst. Es ist der Moment, in dem man aufhört, Zeitgenosse zu sein.»
Roger Willemsen (1955 – 2016, deutscher Publizist, Fernsehmoderator und Filmproduzent) hatte die Frage «Wer wirst du gewesen sein?» in seinem Buch «Der Knacks» gestellt.
Den Fokus aus der Zukunft zurück in die – aus heutiger Sicht – Zukunft zu legen, bezeichnet der deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx in seinem Buch «Die Zukunft nach Corona» als «Re-Gnose». Nach Horx entsteht die Zukunft «durch einen magischen Prozess, in dem wir uns innerlich dem Morgen nähern, das Neue in uns selbst üben, prüfen und uns dabei selbst neu erschaffen.» Dies im Gegensatz zur «Pro-Gnose», welche die Zukunft immer nur als externe Veränderung beschreibt.