Vor(her)wort
Als das Ganze begann, also damals im Dezember 2019 in der chinesischen Millionenstadt Wuhan, glaubte ich noch nicht an eine Krise. Es war ja nicht das erste Mal, dass in China ein Virus für Probleme sorgte.
Motto: Nicht mir, nicht bei uns.
Uns passiert nichts, das war bisher eine schon fast typisch schweizerische Mentalität. Keine Erdbeben, keine Überschwemmungen, kein Krieg, keine Pandemien.
Und die vereinzelten Lawinen und Steinschläge bringen uns ja nicht um. Nur vereinzelte Menschen.
Auch als 25. Februar 2020 das Bundesamt für Gesundheit (BAG) den ersten Fall meldete, gab es noch keinen Grund zur Panik. Pech gehabt – der Mann war halt vor seiner Rückkehr in die Schweiz in Italien…
Zwei Tage später gab es schon 8 Fälle in ebenso vielen Kantonen – alles aus Italien eingereiste Personen.
Als am 28. Februar 2020 der Bundesrat alle Veranstaltungen mit mehr als eintausend Teilnehmenden verbot, preschte die Stadt Chur vor und engte die Zahl auf fünfzig ein. Aber nur für eine begrenzte Zeit – kein Grund zur Panik.
Also kein Grund für ein uns erfüllendes Erschrecken oder eine allgemeine Verwirrung, das bzw. die der griechische Gott der Hirten und Herden, Pan, durch sein Erscheinen auslöste und damit den Ursprung für das Wort «Panik» schuf.
Höchstens eine erste Verunsicherung. Die dazu führte, dass auch eine Veranstaltung, in die ich involviert war, abgesagt werden musste.
Was im Nachhinein nicht nötig gewesen wäre – aus jetziger Sicht dennoch richtig war – da am 5. März 2020 die Entscheidung durch die Erhöhung der Teilnehmendenzahl auf 150 wieder relativiert wurde. Nur galt jetzt diese Regelung für die ganze Schweiz.
Langsam begann auch ich zu vermuten, dass hier etwas Gröberes auf uns zukommt, etwas, was ich bisher noch nicht erlebt habe.
Was sich bald bestätigten sollte – am 16. März 2020 stufte der Bundesrat die Situation als «ausserordentliche Lage» ein.
Und nun ging es schnell, musste schnell gehen: Homeoffice, Schulen geschlossen, Einführung Online-Unterricht, Verbot von öffentlichen und privaten Veranstaltungen, Aufruf, zuhause zu bleiben, Schliessung von Läden (mit Ausnahme der für unser Leben notwendigen), Restaurants und Unternehmen, Ein- und Ausreisesperre, strenge Hygienevorschriften.
Lockdown.
Die grösste Krise in der Geschichte der Menschheit? Vielleicht für unsere Generation und die uns folgenden. Nicht aber für unsere Eltern.
Denn die waren im letzten Jahrhundert nicht nur Opfer, sondern mussten auf staatlichen Druck zum Teil auch Täter sein.
Auch deshalb hinkt der oft herbeigezogene Vergleich – nein, es ist nicht Krieg!
Auf dem Berg
Aber noch nicht über dem Berg…
Vorsichtshalber habe ich meinen Lebensmittelpunkt von meiner Wohnung in der Altstadt von Chur in mein Haus auf dem Berg – auf Brambrüesch und auf über 1’500 m.ü.M. – verlagert. In meine Zweitwohnung, was nicht ganz korrekt ist, da es ja ein Haus ist. Aber den Begriff «Zweithaus» gibt es nicht. Wobei dies in meinem Fall auch nicht korrekt wäre, da mein «Ersthaus» kein Haus, sondern eine Wohnung ist.
Und es auch diesen Begriff nicht gibt.
Oben leben weniger Menschen in meiner Umgebung, genau gesagt vier im Umkreis von schätzungsweise 60 Metern, zwei Paare in ebenso vielen Häusern. Man sieht sich vielleicht ein- bis zweimal im Tag, grüsst sich aus der Distanz.
Aber nicht täglich, da unsere Häuser für uns alle keine Festwohnsitze sind – Ferien oder Wochenendhäuser nannte man diese früher. Die jetzt aber auch unter der Woche genutzt werden.
Hier kann ich auch raus in die Natur – oder besser; hier bin ich in der Natur. Ich kann spazieren, wandern, joggen, einen Trailrun oder eine Schneeschuhwanderung machen. Unterwegs ist man nicht ganz alleine, aber jede und jeder auf seiner Spur, mit genügender Distanz.
Denn viele sind – wohl auch weil die Bergbahnen nicht mehr fahren – nicht hier oben. Und das Gebiet ist weitläufig.
Runter fahre ich nur fürs Einkaufen, zum Waschen und wenn ich Online-Unterricht habe.
Denn Läden gibt es hier oben keine. Und meine über zwanzigjährige Waschmaschine hat zu Beginn der Krise ihren Geist aufgegeben. Waschmaschinen gehören scheinbar schon früher zur Risikogruppe…
Trotz geschlossener Läden hat es auf die Schnelle zumindest mit dem Monteur geklappt. Aber eben, er konnte nur feststellen, dass es nichts mehr zu reparieren gibt.
Erst eine Woche später konnte dann ein ebenfalls hier oben wohnender Sanitär einen neuen Waschturm montieren – womit ein Grund, runter zu fahren, wieder wegfällt.
Und weil ich im Haus kein WLAN habe und nur über einen Hotspot auf meinem Smartphone online gehen kann, muss ich die wenigen Stunden, die ich im laufenden Semester unterrichte, hinunter in die Wohnung. Dass ich meine über dreissig Studierenden im virtuellen Klassenraum mit einer einigermassen stabilen Verbindung wenigstens hören kann – für eine Bildübertragung von allen reicht die Bandbreite trotzdem meist nicht.
Der Schnee schmilzt auch oben langsam weg, die Terrasse und der Weg zum Haus sind schneefrei. Die Wiese ist noch teilweise bedeckt, aber auch der Kräutergarten ist ohne Schnee. Zeit also, sich schlau zu machen, wie ich bei den geschlossenen Geschäften zu neuen Setzlingen komme!