…die du nicht selbst gefälscht hast.

Neben den verordneten Massnahmen und dem Verhalten der Bevölkerung, das heisst dem Einhalten desselben, wird wohl kaum etwas so kontrovers diskutiert, wie die Kommunikation der «Fallzahlen» während der Krise.

Die Reduktion der Neuinfektionen, Hospitalisierungen und Todesfälle auf nackte Zahlen und Grafiken.

Und deren Interpretation.

Seit der Ausrufung des Notrechts am 16. März 2010 nehmen die Ansteckungen weiter zu, anfänglich gar exponentiell, also prozentual zum Ausgangswert pro Zeiteinheit.

Nicht gleichbleibend, linear.

Je nachdem, wie man die Kurve betrachtet, flacht diese seit anfangs April (sehr) langsam ab, die täglich neuen Ansteckungen gehen zurück. Dies könnte suggerieren, dass die verhängten Massnahmen («physical distancing») nur geringe Auswirkungen auf die Verbreitung des Virus haben.

Dabei geht vergessen, dass sich viele der in der Statistik auftauchenden Fälle bereits vor dem Notstand infiziert haben, die Symptome jedoch erst mit einer Verzögerung von bis zu zehn Tagen eintreten und damit erst später statistisch relevant werden.

Und dass sich die Zahl der Getesteten massiv erhöht hat, was dazu führt, dass auch immer mehr Fälle in der Statistik ausgewiesen werden.

Wenn bei 1’000 Test deren 100 oder 10% positiv sind und später bei 8’000 Tests 400 (5%), kann die statistische Zunahme auf die grössere Datenmenge zurückgeführt werden.

Darum gab es beispielsweise in Ländern wie der Türkei auch lange keine offiziellen Coronafälle – weil dort nicht getestet wurde…

Zudem geben die Statistiken nur die gemeldeten, positiven Laborergebnisse wieder – nicht die tatsächlichen Fallzahlen. Wie viele Menschen sich wirklich angesteckt haben, bleibt die grosse Unbekannte.

Bis am 13. April wurden in der Schweiz gesamthaft über 193 800 Menschen auf COVID-19 getestet, bei 15% dieser Tests fiel das Resultat positiv aus. Wobei das Bundesamt für Gesundheit BAG anmerkt, dass mehrere positive oder negative Tests bei derselben Person möglich sind.

Bis zu diesem Datum wurden damit knapp 2.3% der Schweizer Bevölkerung getestet – oder anders ausgedrückt: rund 0.3% der Schweizer Bevölkerung waren damals positiv.

Eine Zahl, die weit weniger dramatisch wirkt als 25’415 positive Fälle bis zu diesem Tag.

Wobei dieser Vergleich die Zuteilung der Tests auf verschiedene Altersgruppen aussen vorlässt.

Getestet werden ja eher die älteren und gefährdeten Menschen mit gewissen Vorerkrankungen, z.B. schweren Lungenproblemen, schwerer Diabetes und Herzkrankheiten, also vor allem die Risikogruppen. Und wenn deren Einstufung richtig ist, müsste auch das Risiko, durch das Virus infiziert zu werden, höher sein.

Aber auch die Zahlenvergleiche zwischen den Ländern sind nicht aussagekräftig – ausser, sie wurden auf die Häufigkeit pro 100’000 Einwohner umgerechnet. Wobei dann noch immer die Verteilung auf das Land nicht berücksichtigt wird. In Italien konzentriert sich beispielsweise die Hälfte aller Fälle auf Norditalien.

In der Schweiz werden wir von corona-data.ch – einer privat erstellten und betriebenen Website – sehr ausführlich und aktuell mit Zahlen und Grafiken bedient. Diese werden nicht nur pro Kanton und in Relation zur Bevölkerungszahl aufgeschlüsselt, sondern beispielsweise auch zum Anteil der über 65jährigen (Risikogruppe) in Bezug gebracht.

Neben den absoluten Fallzahlen – und den Zahlen an Hospitalisierungen und die Todesfälle, die ich in meiner Betrachtung weglasse – ist die Verbreitung des Virus für die Beurteilung der Lage und deren Entwicklung massgebend.

Wie häufig das Virus auf andere Menschen überspringt, wird mit der Basisreproduktionszahl (R0) angeben. Ein Wert zwischen 2 und 3 bedeutet, dass eine Person zwei bis drei weitere ansteckt, diese Personen wiederum zwei bis drei und so weiter.

Häufig werden die gemeldeten Fälle in einem Diagramm dargestellt, in welchem diese von Tag zu Tag zusammengezählt werden. Dies führt zu den bereits erwähnten exponentiellen Kurven, welche die Situation überdramatisieren.

Nicht berücksichtigt werden die Patienten, die wieder gesund geworden sind. Denn sobald mehr Menschen wieder gesund werden als erkranken, nimmt die Gesamtzahl der aktiven und bekannten Fälle ab.

Die Basisreproduktionszahl, die von einer konstanten Vermehrungsrate ausgeht, wird zu effektiven Reproduktionszahl, wenn die angeordneten Massnahmen zu greifen beginnen. Diese Zahl variiert je nach Massnahmen und je nachdem, wie viel Kontakt zwischen den Leuten besteht.

Womit sich auch die Notwendigkeit des «physical distancing» erklären lässt.

Erst wenn die Reproduktionszahl unter einen Wert von 1 gedrückt werden kann, darf mit der Eindämmung der Ausbreitung des Virus gerechnet werden.

Eine am 10. April 2020 auf Twitter publizierte Studie der Universität Bern zeigt auf, dass sich die Reproduktionszahl auf 0.59 reduziert habe – Mitte März hatte der Wert noch 2.79 betragen. Demnach steckt eine infizierte Person aktuell weniger als eine Person an.

Was aber nicht heisst, dass – falls ich infiziert wäre – es nochmals eine infizierte Person brauchen würde, bevor eine neue angesteckt werden kann… Mit einer Ansteckung würde ich ein Risiko für andere bleiben.

Die aktuellen Fragen, die uns beschäftigen, können mit Statistiken (noch)nicht belegt werden:

  • Hilft eine «Herdenimmunität», also eine mehrheitliche Ansteckung der Bevölkerung, das Virus zu besiegen?
  • Wie lange bleibt man nach durchstandener Virusinfektion gegen dieses immun?

Die bekannte deutsche Virologin im Kampf gegen Corona, Melanie Brinkmann, warnt angesichts der Zahlen und der Altersverteilung bei den Patienten davor, eine Herdenimmunität als Lösung anzupreisen (merkur.de, 6. April 2020). Auch, weil nicht klar ist, wie lange der Immunschutz anhält.

Über Antikörpertests lässt sich aufzeigen, wie viele Menschen – auch unbemerkt – mit dem Virus infiziert waren, das Virus selbst lässt sich im Nachhinein nicht mehr nachweisen. Das erlaubt einen wichtigen Rückschluss auf die wirkliche Durchseuchung der Gesellschaft.

Am 11. April 2020 wurde die Meldung verbreitet, dass mehr als 90 koreanische Patienten nach überstandener Coronavirus-Infektion erneut positiv getestet worden sind. Seither mehren sich Berichte über Patienten, die trotz einer überstandenen Covid-19-Erkrankung erneut positiv auf das auslösende Coronavirus getestet werden.

Die Gründe dafür sind noch nicht klar und bedingen weitere Studien. Experten gehen jedoch davon aus, dass die gebildeten Antikörper eine mehrmonatige, wenn nicht gar mehrjährige Immunität gegen den Auslöser bewirken.

Die verordneten Massnahmen bleiben damit vorläufig nötig, um die Ausbreitung des Virus zu dämmen.

Zu gross sind noch die Unbekannten und Unsicherheitsfaktoren.

Oder wie es der US-amerikanische Baseballspieler und -manager Jogi Berra ausdrückte: «Vorhersagen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.»

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