Die häufigsten Sätze, die ich im Moment höre, sind:

  • «Ich wünschte, es wäre bald vorbei»,
  • «Wenn es doch wieder so wäre wie früher» und
  • «Das war ein besonderes Jahr».

Mein Antworten darauf sind, obwohl es keine Fragen sind:

  • «Das kannst du vergessen, bald vorbei wird es nicht sein.»,
  • «Wie war den das ‘Früher’, was war gut daran, gab es eventuell auch etwas, was nicht so gut war? Und warum weisst du plötzlich wie das ‘Früher’ war – hast du das in den letzten Jahren auch gewusst?» und
  • «Nein, es war kein besonderes Jahr.»

Oh doch, war es doch, die Corona-Krise, das war etwas Besonderes.

Nein, war es nicht!

Denn jedes Jahr ist und war etwas Besonderes.

«Eigentlich war es anders ausgemacht. Es war ausgemacht, dass das Leben immer so weitergeht, immer geradeaus», sagt Matthias Horx in seinem Buch «Die Zukunft nach Corona».

Dieses Jahr war für mich etwas Besonderes – aber nicht wegen Corona.

Vielmehr, weil meine Mutter und die Mutter meiner Tochter gestorben sind, eine langjährige Beziehung zu Ende ging. Aber auch, weil so viel Neues, Gutes begann.

Ist nicht jedes Jahr ein besonderes? Was ist und war denn 2020 anders?

Weil das, was uns das Gefühl vermittelte, dass es ein besonderes Jahr ist, die ganze Welt betraf? Oder immer noch betrifft?

Weil dieses kollektive Gefühl uns zu einer häufigeren und intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema, mit dem, was die «Krise» mit uns, mit jedem Einzelnen, mit der Gesellschaft, macht, zwingt?

Weil wir uns mit den Veränderungen, die wir in den letzten Jahren durchlebt haben, weniger auseinandergesetzt haben? Weil es für uns selbstverständlich war, dass das Leben Veränderung ist.

Ohne dass wir uns dessen bewusst waren.

Wer sich jetzt wünscht, dass alles wieder wird, wie es vorher war, ist sich nicht bewusst, dass dies noch nie so war.

Und dass dies nie möglich war, und dass dies auch – im Rückblick – nie wünschenswert gewesen wäre.

Wollen wir hungern wie unsere Eltern oder Grosseltern, im Winter frieren, weil keine Kohle zur Verfügung steht, wollen wir den Krieg, die Kriege wieder erleben?

Früher war alles besser!

«Es ist interessant, wie genau wir plötzlich die alte Realität beschreiben können. Wissen sie noch, wie es damals war, bevor alles anders wurde?», fragt Horx.

Was sehnen wir uns denn wirklich zurück?

Ist nicht die Krise auch eine – nein, ich will das Wort «Chance» nicht verwenden – eine Möglichkeit, eine Veränderung zu einem neuen Normal, das vielleicht auch ein Besseres sein könnte, die wir ergreifen könnten?

«Plötzlich gibt es mehrere Realitäten. […] Eine Vor- und eine Nach-Corona-Welt. […]  Eine sichere und eine unsichere Wirklichkeit.», so Horx.

Eine Veränderung, indem wir die «Chance» zu einem «Change» weiterentwickeln. Wir die Krise nutzen, um das weiter zu entwickeln, was bereits im Gang war und das zu stoppen, das wir eigentlich nie wollten.

Meine Studierenden haben in der Auseinandersetzung mit der Krise und deren Auswirkungen mehr positive Aspekte aufgeführt als negative. Ein neues Bewusstsein, verstärkte Achtsamkeit, ein Trend zu Saisonalem und Regionalem, weniger Konsum, neue Gesellschaftsformen, neue Beziehungsformen zu Freunden und zur Familie und so weiter.

Ein erfreuliches Bild – denn diese jungen Menschen sind die Zukunft.

Menschen, die nicht einfach bereit sind, die Zukunft als das anzusehen, was auf uns zukommt.

Sondern als das, was sie bereit sind mitzugestalten.

Oder wie es Matthias Horx formuliert:

«Zukunft entsteht durch einen magischen Prozess, in dem wir uns innerlich dem Morgen nähern, das Neue in uns selbst üben, prüfen und uns dabei selbst neu erschaffen. Und dabei unsere Um-Welt verändern.»

Was Corona wirklich ausgelöst hat, werden wir wohl erst in einem Rückblick aus der Zukunft in die – aus heutiger Sicht – «aktuelle Zukunft» (so weit eine Zukunft aktuell sein kann…) beurteilen können.

Dieses Gedankenkonstrukt zwingt uns zu einer anderen Sichtweise: Was hat Corona auf die Jahre 2021 und 2022 bewirkt aus Sicht eines Menschen, der 2025 sich dazu Gedanken macht?

Wer werden wir gewesen sein, wie wird sich unsere Gesellschaft verändert haben, was wird Corona mit uns gemacht haben?

Diese Reflexionen ermöglichen uns, die Zukunft nicht nur als passiv erlebte Veränderung zu beschreiben, sondern sie auch aktiv mitzugestalten.

Horx beschreibt dies wie folgt: «Wie haben wir uns entwickelt und verändert, wie haben wir die Zukunft gestaltet?» statt «Wie wird uns die Zukunft verändern?»

Dieses Schleifen-Phänomen nennt er denn auch die «Re-Gnose»– im Unterschied zur «Pro-Gonse», die die Zukunft immer nur als externe Veränderung beschreibt.

Was die Zukunft bringen wird, kann nur sie selbst zeigen. Wir können sie im besten Fall mitgestalten statt sie einfach auf uns einwirken zu lassen.

Pro- wie auch Re-Gnosen bleiben schwierig.

Oder wie es der US-amerikanische Baseballspieler und -manager Jogi Berra ausdrückte: «Vorhersagen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.»

Oder war es doch Karl Valentin, der diese Aussage machte?

Aber auch Rückblicke sind nicht immer einfach…

Nein, es war kein besonderes Jahr.

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