Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal die halbe Nacht wach geblieben bin um einen Sportanlass live mitzuverfolgen… Für den olympischen Triathlon der Frauen vom 26. Juli 2021 in Tokio war es wieder einmal so weit. Der Dok-Film «Nicola Spirig – in 18 Monaten von der Schwangerschaft zur Olympia-Medaille?», der vor dem Start im Schweizer Fernsehen lief, überbrückte nicht nur die Wartezeit bis kurz vor Mitternacht, sondern verstärkte das Interesse, wie diese Frage beantwortet werden würde.
Es hat nicht ganz gereicht, die Hypothek von 68 Sekunden Rückstand nach dem Schwimmen wog zu schwer – Nicola Spirig belegte nach einem hervorragenden Rennen den 6. Rang und holte sich damit bei ihrer fünften Teilnahme an Olympischen Spielen nach Gold 2012 und Silber 2016 ihr zweites olympische Diplom.
Während des Rennens tauchten bei mir Erinnerungen auf und machten so die Übertragung zu einem emotionalen Erlebnis. Gerne erinnere ich mich an meine aktive Triathlonzeit mit einigen unvergesslichen Momenten zurück – und an spezielle, welche einzelne Phasen des Rennens auslösten.
Der Start war wegen Regens und Sturm um eine Viertelstunde nach hinten geschoben worden, was den Kommentator, Christof Sterchi, zur Frage an den Experten Christoph Mauch (der zur gleichen Zeit wie ich aktiv war, wenn auch auf einem bedeutend höheren Niveau) bewog, ob dies oft vorkomme. Mauch meinte, dass dies sehr selten sei, denn Regen spiele grundsätzlich keine Rolle, wenn man nass aufs Velo steige.
Es war 2004 am Ironman Korea in Seogwipo auf Jeju Island, als ich eine solche Verschiebung erlebte. Riesige Wellen verunmöglichten einen Schwimmstart, was mir als guter Schwimmer natürlich nicht entgegenkam. So wurde der Start zuerst nach hinten geschoben und die Athletinnen und Athleten später in 5-Sekundenintervallen auf die Velostrecke geschickt. Speziell in Erinnerung ist mir geblieben, dass nicht wenige der überwiegend asiatischen Teilnehmenden diesen Unterbruch für eine Zigarettenpause (!) nutzten.
Von der ersten Disziplin, dem Schwimmen, sind mir verschiedenen Erlebnisse geblieben. Zum Beispiel Embrun 1990, wo wir im Halbdunkel hinter Kanus mit Fackeln, die uns den Weg zeigten, herschwammen. Und wo ich so schnell unterwegs war, dass ich im Wechselraum zuerst mal einige Minuten Pause einlegte, um nicht in Versuchung zu geraten, auf dem Rad mit der Spitze mitzufahren… Oder natürlich Hawaii 1989, wo vor dem Start ein Priester ein Gebet spricht und dann wie aus dem Nichts – ohne Countdown – der Startschuss fällt. Eine der wenigen Schwimmstrecken, die dank der Taucher, die das Rennen absichern und natürlich der grossen Vielfalt an Fischen auch optisch Erlebnisse liefert.
Embrun war auch die härteste Radstrecke, die ich je in einem Triathlon zurückgelegt hatte. Dieser Abschnitt am Embrunman ist mit 188 Kilometern länger als üblich (180 km) und weist zudem rund 5’000 Höhenmeter auf. Der höchste Punkt, den es zu überwinden gilt, ist der Col d’Izoard, der oft auch an der Tour de France gefahren wird. Und wenn man sich nahe des Wechselraumes wähnt, ist zuerst nochmals eine Rampe von acht Kilometern und rund 370 Höhenmeter mit bis zu 15 Steigungsprozenten zu bewältigen.
Das Regenrennen von Tokio hat mich aber auch an die Europameisterschaften 1989 im dänische Rødekro erinnert. Am Abend vor dem Rennen hatte starker Regen eingesetzt, der sich auch während des Wettkampfes lange hielt. Im Gegensatz zu einigen Mitgliedern des Schweizer Nationalteams (damals konnte ich auch ohne Nomination teilnehmen), die mit diesen Bedingungen haderten, konnte ich dies als unveränderbar annehmen und das Beste – meine persönliche Bestzeit auf der Ironmandistanz – daraus machen. Nicht zuletzt auch dank meines schnellsten Marathons in einem Triathlon.
Dieser bleibt nicht nur wegen der Zeit unvergesslich. Da war der eine Athlet aus dem Schweizer Team, der mir plötzlich entgegenkam, weil er sich verlaufen hatte – oder der andere, der schockiert stehen blieb, als ich ihn überholte…
Und da war natürlich noch der Lauf in Nizza, den ich eigentlich aufgeben wollt, wenn ich meinen Betreuer treffen würde. Doch der hatte sich von seiner ursprünglichen Position, auf der ich ihn vom Rad aus gesehen hatte, weiter verschoben. Bis ich ihn dann endlich traf, war ich schon so weit, dass ich das Rennen trotzdem zu Ende lief. Und zwischendurch mal eine Dusche am Strand nehmen musste, weil ich einen falschen Bidon erwischt hatte, mit dem ich mich abkühlen wollte, indem ich mir den Inhalt über den Kopf leerte. Es war Cola!
Erinnerungen sind das, was aus dieser Zeit bleiben, unvergesslich natürlich der Zieleinlauf auf Hawaii. Für Zeiten und Ränge muss ich jeweils in meinen Unterlagen nachschauen, das hat an Bedeutung verloren. Verbunden mit diesen Erinnerungen sind auch Emotionen, die nicht nur damals, sondern auch heute noch stark sind. Und die wieder hochkommen, wenn ich Rennen wie das in Tokio – oder das Mountainbikerennen der Frauen am anderen Morgen mit dem dreifachen Schweizer Erfolg durch Jolanda Neff, Sina Frei und Linda Indergand – mitverfolge.
Und davon lebt der Sport. Auch dafür treiben wir Sport.