Liebe ist Geduld, Sex Ungeduld.
(Erich Segal)
Mit diesem Beitrag beende ich meine «Gedanken in einer herausfordernden Zeit». Ich werde aber weiterhi Bolgbeiträge schreiben – ob mit oder ohne Bezug zu Corona wird sich zeigen.
Ich lasse mich dabei inspirieren von dem, was ich sehe, höre, lese, erlebe – werde mich in Zukunft aber auf auf meine Kerngebiete Sport und Bildung konzentrieren.
Heute nehme ich Bezug auf ein Interview in der Sonntagszeitung vom 10. Januar 2021 mit dem slowenischen Philosophen Slavoj Zizek über sein neues Buch «Sex und das verfehlte Absolute».
Mit dem «verfehlten Absoluten» definiert Zizek die menschliche Sexualität als eine Struktur, die vom Scheitern durchzogen ist. Dies im Widerspruch zur verbreiteten Meinung, dass «man im Moment des Orgasmus eine höhere Dimension erreicht» oder «unser Leben nur noch mit vulgärem Sex, so intensiv und oft, wie es nur geht, bedeutungsvoll machen können».
Slavoj Zizek geht davon aus, dass beim Sex immer Bilder und Fantasien im Spiel sind, die einen selbst oder den Partner, die Partnerin ersetzen. Während man bei der Masturbation an jemand anderes denkt, so Zizek, ist man beim wirklichen Sex in Gedanken bei dem was man gerne mit ihr oder ihm machen würde, man ist besessen von anderen Bildern.
«Das ist für mich die fundamentale Erfahrung des Scheiterns beim Sex: Du bist mit dem Partner oder einer Partnerin nie allein.»
Zizek sieht damit Sex als Selbstbefriedigung mit einem realen Partner, die immer mit einer Fantasie ergänzt werden muss.
Sex wird oft als erforderliches Mittel zur Fortpflanzung beschreiben. Für den deutschen Philosophen Richard David Precht ist dies jedoch nicht der Fall, wie er in seinem Buch «Liebe – ein unordentliches Gefühl» mit Beispielen aus der Tierwelt belegt.
«Und wie der Sex in die Welt kam, ist ebenso unbekannt wie sein Zweck. Möglicherweise, so steht zu vermuten, gab es gar keinen höheren Sinn dabei.»
Wenn man jemanden voll und ganz – auch mit seinen Mängeln – akzeptiert, ist dies für den Philosophen Liebe. Und sieht hier auch gleich ein Paradoxon: Obwohl man mit dem wunderbarsten Menschen zusammen ist, sucht man nicht die Perfektion, nicht das Ideal – man kennt die Mängel, die stören, aber akzeptiert diese.
Damit, so Slavoj Zizek,
«meint Liebe, dass man mit dem ultimativen Scheitern umzugehen lernt, dass man das Absolute nicht erreicht. Und den anderen liebt, obwohl man alle seine Mängel kennt. Für mich ist Liebe daher die logische Folge von Sex.»
Somit gibt es für ihn auch keine Menschen, die genussvollen Sex losgelöst von Liebe haben. Für den Philosophen gibt es immer eine versteckte Verzweiflung, mittels Sex seinem Leben eine Bedeutung zu verleihen.
Dazu gehört für ihn auch, dass man den anderen beim Sex zum Objekt macht – denn nur so funktioniere Sex. Zum Sex gehöre auch die Lust, zum Objekt der Lust gemacht zu werden.
«Und die steht nicht im Gegensatz zur Liebe. Liebe bedeutet, dass man ein solches Vertrauen in seinen Partner hat, dass man nicht respektiert, sondern benutzt werden will. Als sexuelles Objekt.»
Richard David Precht sieht die Geschlechtsidentität, Sex und Fortpflanzung als drei verschiedene Dinge, die in unterschiedlichen Verbindungen zueinander stehen können. Mann und Frau gebe es nicht, weil sie sich sexuell unbedingt brauchen, so Precht, denn ebenso können Männer Männer und Frauen Frauen lieben. Sex kann der Fortpflanzung dienen, muss aber nicht. Verliebtheit und Liebe können aus Paarbindungen entstehen oder aus dem Verhältnis der Geschlechter, müssen aber nicht.
Schon der französische Psychiater und Psychoanalytikers Jacques Lacan (1901 – 1981) war der Meinung, dass es keine sexuelle Beziehung geben könne, da wir beim Sex unsere spezifische Form der Sexualität entwickeln müssen – Sexualität ist und bleibt etwas Offenes.
Und Slavoj Zizek verneint auch, dass Sex und Macht getrennt werden kann. Wobei er sich aber klar dagegen ausspricht, dass das Patriarchat sich das Recht nimmt, Sex einzufordern. Im Gegenteil: Zizek unterstützt die #MeToo-Bewegung, welche aus seiner Sicht zum Ende das Patriarchat führt.
«Was mich aber an politisch korrekten Leuten stört, ist, dass sie Macht und Sex auf abstrakte Weisen trennen: Sie gehen davon aus, dass Sex ohne Patriarchat reiner, unschuldiger Spass sein könnte. Und Macht alles ruiniere. Aber es gibt keinen unschuldigen Sex. Sex ist extrem exklusiv, eine Art kosmisches Ungleichgewicht: Sie ziehen jemanden vor, um den sich dann alles dreht.»
Der Philosoph, der vom Politmagazin «The New Republic» als «Der gefährlichste Philosoph des Westens» bezeichnet wurde, zieht noch eine Parallele zwischen unserem Nichtwissen über Sex und dem über Covid-19. Mit dem Wachstum unseres Wissens werden wir auch damit konfrontiert, wie wenig wir wirklich wissen. Und dieses Bewusstsein führe dazu, dass wir anders handeln, weil wir wissen, dass wir etwas nicht wissen.
«Beim Sex und bei der Liebe ist es nicht anders. Es gibt doch diese ewig weibliche Aufforderung: Sag mir, warum du mich liebst? Das ist eine schöne, hysterische Provokation, die man nicht beantworten kann. Denn wenn man sie beantworten kann, ist es keine Liebe mehr.»
Emotionen entstehen aus einer Bewegung oder Erregung heraus. Emotionen können nicht kontrolliert werden, wir können höchstens lernen, sie nicht zu zeigen. Gefühle entstehen, wenn Emotionen Vorstellungen auslösen. Im Gegensatz zu Emotionen sind Gefühle immer da, mit ihnen schafft der Mensch seine Erinnerungen, die er als Erfahrungen abspeichert. Gefühle helfen, Erfahrungen richtig zu bewerten und Entscheidungen zu treffen. Bei der Emotion passiert das Fühlen im Körper, beim Gefühl geht es hingegen um einen geistigen Inhalt.
Nach Richard David Precht konnte bis heute wissenschaftlich noch nicht nachgewiesen werden, wie die Lust auf Sex entsteht, da an dieser mehrere Sinne beteiligt sind. Verliebtheit ist oft mit Lust verbunden, umgekehrt ist dies nicht zwingend. Und Verliebtheit hält normalerweise länger an als Lust.
Und da Liebe keine Emotion, sondern ein Gefühl ist, Sex hingegen mit Lust und damit mit Emotionen verbunden ist, könnte die Frage im Titel dahingehend beantwortet werden, dass wir von zwei verschiedenen Begriffen sprechen, die nicht zwingend im Zusammenhang stehen müssen.
Wobei das Leben diese Trennung nicht immer so einfach macht…
Wie Slavoj Zizek über Sex zu schreiben, ist gewagt. Denn Verallgemeinerungen wie „ewig weibliche Aufforderung …“ Oder: „immer eine versteckte Verzweiflung …“ usw. sind scheinbarer Natur. Was wir sicher wissen ist: Slavoj Zizek erlebt es so. Für ihn sind Frauen so. Für ihn ist Sex so. Das ist mal sicher! Ob die Aussagen allgemeingültig sind, ob alle Frauen (ein vorsintflutlicher Geschlechterbegriff?) mit der besagten Frage ihr Geliebt-Werden entzaubern wollen (und keine von ihnen einfach interessiert ist an konkreteren Komplimenten, oder einfach staunend fragt, oder …), ob alle Menschen aus Verzweiflung miteinander Liebe machen (und nicht um der gemeinsamen Atmosphäre willen, oder weil sie es als Pflicht anschauen, oder aus Obsession oder … – oder, umgekehrt gefragt: Ob wir nicht sehr vieles [gelegentlich] tun, weil wir nach Sinn suchen, und beim Sex wäre es dann ab und an nicht anders…), das hingegen wäre zu diskutieren. Diesbezüglich kommen Philosoph:innen und Naturwissenschaftler:innen zu unterschiedlichen Überzeugungen. Sobald jemand eine dieser vielen möglichen unterschiedlichen Positionen äußert und vor allem selbst vertritt, wissen wir: Diese Überzeugung stimmt offenbar mit ihrem/seinem Leben überein. Auch wenn man sich öffentlich und „allgemein“ über Sex äußert, redet man wohl mehr über sich, als über Sex im allgemeinen. – In welchem Setting aber könnte es produktiv sein, über sich zu reden?