Durch die Coronakrise und dem zeitweiligen Wegfall von Präsenzunterricht wurden die Bildungsorganisationen gezwungen, neue und innovative Unterrichtsformen und -modelle zu entwickeln und diese umzusetzen. Doch wie innovativ waren und sind diese? Hat Innovation in der Bildung wirklich stattgefunden oder wurde einfach alter Wein in neue Schläuche umgefüllt?

Distance Learning, hybrider Unterricht, Inverted beziehungsweise Flipped Classroom oder Remote Learning sind Begriffe, die nicht neu sind, die aber durch die Kommunikation und Umsetzung in den letzten eineinhalb Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Das erinnert mich an die Anfänge unserer Studienrichtung «Sport Management», die ich von 2015 bis 2019 als «Pilotprojekt in einem Blended-Learning-Modell» aufbauen durfte. Auch damals wurde immer wieder auf den hohen Innovationsgehalt von Blended Learning – einer Kombination aus Präsenzunterricht, selbständigem und begleitetem Selbststudium – hingewiesen. Eine Kombination, die jedes «normale» Vollzeit- und Teilzeitstudium auch beinhaltet, nur in einem anderen Verhältnis! Und das war denn auch das wirkliche Innovative in unserer Studienrichtung, dass dieses Verhältnis 30:70 statt wie üblicherweise rund 50:50 war und so die Flexibilität für die Studierenden erhöht wurde.

In allen obengenannten Modellen geht es nach wie vor darum, den Studierenden Wissen zu vermitteln, dieses wenn möglich anzuwenden, Kompetenzen und Fähigkeiten zu entwickeln, allen die gleichen Lernmöglichkeiten zu bieten und alle auf den gleichen Stand zu bringen. In Modellen, bei denen die Studierenden mal vor Ort, mal zu Hause sind, sind die letzten zwei Punkte natürlich besonders wichtig.

Doch die Bezeichnungen der Umsetzungsmodelle suggerieren Innovation: hybrid synchron und asynchron, hybrid alternativ mit oder ohne Erhöhung des Selbststudiumanteils tönt nach Neuem, Kreativem, Innovativem. Modelle, die bereits praktiziert und umgesetzt werden, erhalten das Attribut «neu» und werden scheinbar (neu) aktiviert. Wobei auch hier wie bei Blended Learning nur das Verhältnis zwischen den einzelnen Unterrichtsformen geändert wird. Und Flipped Classroom neu als das Modell in dieser aussergewöhnlichen Situation deklariert wird, obwohl es vorher schon praktiziert wurde.

Eric Mazur, Professor für Physik und angewandte Physik an der Harvard University, gilt als Begründer des didaktischen Konzeptes «Flipped Classroom», welches Lerninhalte vor der Präsenzveranstaltung in aufbereiteter Form – insbesondere als Video – zur Verfügung stellt und die gemeinsame Zeit im Klassenzimmer für Praxis und Anwendung nutzt. Doch genau diese Form, wie die Lerninhalte zur Verfügung stehen, entspricht nicht der ursprünglichen Idee von Mazur. Er verwendete dazu Bücher, die ermöglichen, eigene Notizen zu erfassen, Textstellen zu markieren, es mal auf die Seite zu legen um zu reflektieren, was gelesen wurde. Bei Videos hingegen, so Mazur, werde die Forwardtaste weit mehr genutzt als die Pausentaste…

Persönliche Erfahrungen haben auch gezeigt, dass die Zeit, welche Studierende konzentriert bei einem Video bleiben können, sehr kurz ist (das geht übrigens auch Dozierenden so). Aber auch, dass dieses Konzept sich nicht gleichermassen für alle Module und Lerninhalte eignet. So hat sich in unserer Praxis zum Bespiel gezeigt, dass der Lerneffekt in der Mathematik höher ist, wenn die Theorie im Präsenzunterricht vermittelt und anhand einiger Beispiele verdeutlicht wird und die Anwendung und Übung anschliessend ins Selbststudium verlegt wird. Also das traditionelle Modell.

Grundsätzlich ist der Präsenzanteil im Unterricht in den letzten beiden Jahren (gezwungenermassen) gesunken, die Studierenden müssen mehr im Selbststudium arbeiten. Und fragen sich aus meiner Sicht nun zurecht, warum sie dafür immer noch den gleichen Betrag an Semestergebühren zahlen müssen…Die Generation der aktuell Studierenden ist sicher zukunftsorientiert und innovativ unterwegs. Doch haben sie Mühe, wenn Unterrichtsmodelle, die sich aus ihrer Sicht bewährt haben, immer wieder geändert werden, ohne dass für sie ein erkennbarer Mehrwert generiert wird. Veränderung nicht um der Qualität, sondern um der Innovation willen ist nicht das, was sie sich wünschen.

Das Unverständnis kommt auch daher, weil viele der Entscheidungen top-down verordnet werden und die wichtigsten Partner – die Studierenden – nicht in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden. Ebenso wenig übrigens wie die Experten an der Basis, die Dozierenden, die Lehrenden…

Diese hierarchische «Kommunikation» verhindert auch die Wahrnehmung der Bedürfnisse der Studierenden. Denn diese vermissen, obwohl sie zugestehen, dass der Unterricht in den bisherigen Modellen gut funktioniert hat, die sozialen Kontakte zu ihren Peers und zu ihren Dozierenden. Sie wollen Präsenzunterricht, vor Ort sein, Beziehungen pflegen. Denn Bildung ist Beziehung und Beziehungspflege.

Und verstehen dadurch noch weniger, warum einige Hochschulen zum Normalbetrieb mit voller Auslastung der Raumkapazitäten zurückkehren, andere aber nicht. Verstehen wohl, dass keine Planungssicherheit gewährt werden kann, wünschen sich jedoch eine Perspektive, die über wenige Wochen hinausgeht. Haben selbst Zuversicht und wünschen sich diese auch von Entscheidungsträgern. Und sind bereit, (Selbst)verantwortung zu übernehmen, so man ihnen dies auch ermöglichen würde.

Auf diese Bedürfnisse einzugehen – das wäre doch wirkliche Innovation in der Bildung.

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