Kontrovers waren die Diskussionen schon immer im Zusammenhang mit der Coronakrise.

Doch seit der Bundesrat per 27. April 2020 eine Lockerung der Schutzmassnahmen beschlossen hat, werden diese noch strittiger ausgetragen.

So dürfen ab diesem Datum wieder alle Bau- und Gartencenter, Gärtnereien, Blumenläden, Coiffeur- und Kosmetiksalons, Einrichtungen zur Selbstbedienung wie Autowaschanlagen, Solarien, Blumenfelder, Arzt- und Zahnarztpraxen, Physiotherapien, Massagepraxen wieder geöffnet und alle Eingriffe in Spitälern vorgenommen werden, sofern keine kantonalen Einschränkungen gelten.

Oh, ich habe eben erst beim Schreiben bemerkt, dass ich mein Auto endlich mal wieder waschen lassen kann – welche bedeutende Erhöhung meiner Lebensqualität!

Ok, darüber habe ich noch keine Diskussionen gelesen oder gehört – aber über die Auswahl der Geschäfte und Betriebe, die wieder geöffnet werden dürfen. Die Betreiber von Fitnessstudios zum Beispiel fragen sich, warum sie nicht öffnen dürfen, wäre es doch ein Einfaches, die Hygienemassnahmen, die mit der Wiedereröffnung zwingend verbunden sind, zu erfüllen.

Wäre… Einverstanden. Aber…

Was ich zu Beginn der Krise in eben einer dieser Einrichtungen erlebt habe, lässt mich daran zweifeln.

Wobei ich damit nicht verallgemeinern und ausschliessen möchte, dass es möglich wäre.

Während meines Trainings habe ich nur vereinzelte Besucher erlebt, die nach der Nutzung der Geräte deren Griffe mit Desinfektionsmittel gereinigt haben – geschweige denn, dass das Personal irgendwelche Reinigungs- oder Desinfektionsarbeiten vorgenommen hätte.

Nach wie vor gab es Trainierenden, die nicht einmal ein Tuch – das eigentlich auch ohne Coronakrise für das Training zwingend wäre – benutzt haben, um nicht den Nachfolgern ihren Schweiss auf dem Polster der Geräte zu überlassen.

Physical Distancing gestaltet sich schwierig, vor allem im Freihantelbereich, wo sich die Trainierenden gegenseitig helfen und unterstützen. Denn ich gehe davon aus, dass nicht alle, die zusammen trainieren, auch zusammenleben.

Quintessenz: Es wäre möglich – aber schwierig, würde eine gute Organisation und eine ebensolche Führung sowie ein hohes Engagement der Mitarbeitenden und eine konsequente Durchsetzung der Massnahmen erfordern.

Da sind natürlich Betriebe, die ein «Eins-zu-Eins»-Angebot haben (Coiffeur- oder Kosmetiksalon, Massagepraxis), einfacher zu steuern und zu kontrollieren.

Bei Bau- und Gartencenter, Gärtnereien und Blumenläden ist es aus meiner Sicht verständlich, dass sich kleinere Läden aus anderen Branchen benachteiligt fühlen – warum die und wir nicht? Die meisten Läden könnten mit einfachen Massnahmen – Bodenmarkierungen für Physical Distancing, tropfenweiser Einlass, Plexiglasschutz an der Kasse – die Hygienevorschriften erfüllen.

Zu Beginn der Krise wurde die Auswahl der Betriebe, die offen bleiben durften, nach der «Lebensnotwendigkeit» der angebotenen Artikel beurteilt. Gilt dieses Kriterium immer noch?

Ja natürlich habe ich auch gerne Blumen und Kräuter in meinem Garten! Aber dazu brauche ich kein Gartencenter. Unmittelbar nach dem Bundesratsentscheid habe ich online Kräutersetzlinge bestellt, die mir ins Haus geliefert wurden und die unterdessen in meinem Kräutergarten gedeihen.

Einerseits konnte ich damit ein junges KMU unterstützen – und muss andererseits in Zukunft nicht bei den Grossmärkten anstehen, wie dies in Österreich nach deren Öffnung der Fall war.

Sehr kontrovers wurde auch die Wiedereröffnung der Gastronomie diskutiert. Nicht nur aus Sicht der Nachfrager bzw. Gäste, sondern auch von den Gastronomen selbst.

Auch die meisten dieser Betriebe könnten die Auflagen bezüglich Hygiene erfüllen (kleine, enge Bars vielleicht ausgenommen) und Gäste bedienen. Vor allem die mit Gartenrestaurant. Doch die Frage, die sich den Gastgebern stellt, ist, ob die Gäste sich die Rückkehr in eine solche von Hygienevorschriften, Distanziertheit und Vorsichtigkeit geprägte Atmosphäre wünschen.

Gastronomie will Erlebnis, Genuss und persönliche Beziehung vermitteln – was alleine an einem Tisch in einem halbvollen Restaurant mit einer Bedienung, die schneller weg ist als sie kommt (weil sie muss), nur schwierig zu erleben ist.

Und was ist mit den Hotels?

Die dürften ja eigentlich offen haben, wurden nie durch behördliche Massnahmen zur Schliessung gezwungen.

Aber mussten ihr Angebot auf Übernachtung mit im besten Falle einem Frühstücksbuffett beschränken. Kein geöffnetes (internes) Restaurant, kein Wellnessangebot. Dazu kommt, dass ausserhalb des Hotels kaum Angebote bestehen, die von Gästen genutzt werden können.

Stay at Home – auch im Hotel. Kein Wunder, bleiben die Gäste aus und bewirken faktisch so doch eine Schliessung.

Und da war noch das Thema um die Masken beziehungsweise um deren Tragpflicht…

Schnell einmal wurde klar, dass der Bundesrat gar nicht in der Lage gewesen wäre, eine Tragpflicht zu verordnen, selbst wenn er überzeugt gewesen wäre, dass diese nützlich wäre – was aufgrund seiner Kommunikation nie der Fall gewesen sei. Denn es gab zu Beginn der Krise schlichtweg zu wenig Masken.

Also wurde das Maskentragen auf die Bereiche reduziert, in welchen sie wirklich von Bedeutung waren und noch immer sind. Auf die Pflege der Infizierten.

Dann begannen umliegende Länder wie Österreich und Deutschland mit einer zumindest teilweisen Tragepflicht, z.B. im öffentlichen Verkehr oder beim Einkaufen. Und da die Schweiz Milliarden von Franken in die Beschaffung von Masken investierte – zuerst in Importe aus China, dann in schweizerische Eigenproduktionen – kamen Befürchtungen auf, dass wir uns auch bald nicht mehr nur in gebührender Distanz, sondern zusätzlich mit Masken begegnen.

Kontrovers wurde schon immer der Nutzen der Masken diskutiert, auch in Kreisen von Wissenschaftlern. Die einen ordnen diesen einen klaren Schutz zu, zusätzlich den Effekt, dass man sich weniger ins Gesicht greift und damit eine Übertragung über Schleimhäute verhindert, die anderen bezweifeln dies. Und die neueste Ansicht, die ich gesehen habe, ist, dass Masken das Ansteckungsrisiko erhöhen können, weil sich die Menschen mehr – und nicht weniger – ins Gesicht greifen, um den Sitz der Maske zu kontrollieren.

Welche der Pole in diesen Diskussionen richtig liegen, wird sich erst nach der Krise, vielleicht auch sehr viel später zeigen.

So, wie es in unserem Leben immer Situationen oder Phasen gibt, die oder deren Auswirkung erst später beurteilen können.

Roger Willemsen beschreibt in seinem Buch «Der Knacks» über die unmerklichen, fast namenlosten Veränderungen im Leben. Über Veränderungen, die erst wahrgenommen werden können, wenn sie (mindestens teilweise) vorüber sind.

Wie beispielsweise das Älterwerden.

Kaum ist ein Mensch im besten Alter, so Willemensen, hat er dieses auch schon wieder hinter sich. Das ist nach Willemsen das Verdikt des Lebens: «Du bist (noch) nicht, oder du bist (schon) vorbei. Wir werden uns erkennen, was wir geworden sein werden, und in dem, was dazu verdammt war, zu verschwinden.»

Das könnte auch das Verdikt der Krise sein.

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