Der Mensch tut sich grundsätzlich schwer mit Veränderung.

Leichter als der Blick in eine neue Zukunft fällt uns der Blick zurück auf das was war, wie es einmal war.

Auf das vermeintlich Gute. Womit wir uns schon der Möglichkeit, dass das neue auch gut – oder sogar noch besser – sein könnte, verschliessen.

Doch Menschen brauchen Veränderung, um sich persönlich und sich als Persönlichkeiten zu entwickeln. Denn sich selbst zu verändern berührt das Innerste einer Person.

Veränderung heisst Entwicklung des persönlichen und individuellen Potentials, Einbringen von Werten und Haltungen sowie Reflexion des eigenen Verhaltens.

Oder anders ausgedrückt: Veränderung bedingt Entwicklung, persönliche Entwicklung.

Veränderung ohne Entwicklung ist schwer zu ertragen. Veränderung, die fremdbestimmt ist und der wir nicht ausweichen können. Veränderung, welche durch andere Menschen initiiert wird und die wir nicht mitbestimmen können.

In dieser Veränderung eine Sinnhaftigkeit zu finden, ist schwierig.

Das erleben wir auch immer wieder während der aktuellen Krise. Die Chance zu sehen, welche diese beinhaltet – und die im chinesischen Schriftzeichen für Krise als eine der zwei Silben enthalten ist – ebenso.

Damit wir Menschen uns mit einer oder für eine Veränderung auseinander- bzw. einsetzen, uns wirklich aktiv an einer Veränderung beteiligen, muss sie für uns auch Sinn machen.

Sich in Veränderungsprozesse eingeben zu können, folgt damit dem Prozess der individuellen Sinnproduktion.

Die Sinnfrage stellt sich Menschen immer wieder in der persönlichen Entwicklung, wobei jede Entwicklung eben auch als Veränderung betrachtet werden muss. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist für Menschen – bewusst oder unbewusst – eine Lebensfrage, eine Frage nach dem Sein.

Die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage gehört zur Selbsterkenntnis und zu den Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen. Wir müssen wissen, wie es um uns steht, dass wir entscheiden können, was wir verändern oder belassen wollen. Glück im Leben entsteht nicht dadurch, dass man nicht weiss, warum man glücklich ist, sondern durch Reflexion darüber, was verändert werden kann.

Sinnerzeugung findet immer im Rückblick statt. Dabei geht es weniger um das Festhalten an Dingen, die positiv oder auch negativ sind, sondern eher darum, den Weg der Vergangenheit aus der Perspektive der Zukunft anzuschauen, wie es Otto C. Scharmer in «Theorie U – Von der Zukunft her führen», ausdrückt.

Oder wie es Zukunftsforscher Matthias Horx in seinem Buch «Die Zukunft nach Corona» als Re-Gnose – Selbstveränderung durch rückblickende Vorausschau – beschreibt.

Und was ich in meinem Blogbeitrag im Dezember 2012 unter dem Titel «Wer werde ich gewesen sein?» ebenfalls thematisiert hatte.

Matthias Horx sieht dann eine Chance in der Krise, wenn wir diese als solche anerkennen und aus Chance ein Change wird.

Die Krise führt uns bewusster vor Augen, was vorher wie und wie anders war. Heute sind wir erstaunt, dass das, was früher war, heute nicht mehr möglich ist. Horx schreibt:

«So wundern wir uns über uns als Vergangene. Das ist RETRO-gnose: Wir erkennen uns selbst rückwärts in der Vergangenheit.»

Dieses Erkennen bietet die Chance, sich weiterzuentwickeln, um mit der neuen Situation zurechtzukommen. Aber wir müssen sie ergreifen.

Ereignisse, die plötzlich stattfinden und die nicht in unsere Wirklichkeit passen, die nicht unseren Erwartungen entsprechen, lösen eine «kognitive Dissonanz», einen unangenehm empfundenen Gefühlszustand, aus. Horx veranschaulicht dieses Gefühl am Verlust eines geliebten Menschen, wenn wir plötzlich mit der Wirklichkeit konfrontiert sind, dass dieser nicht mehr da ist.

Wir bilden Wirklichkeit mit dem, was wir als Aspekte der «Realität» wahrnehmen. Wobei wir das wahrnehmen, was uns nützt und womit wir überleben können und wir das sehen, was wir glauben.

Daraus konstruieren wir uns unsere Wirklichkeit.

In der Re-Gnose entsteht diese Wirklichkeit durch eine Vision, indem wir von einem fernen Ziel aus zurückarbeiten in die Gegenwart. So, wie Otto C. Scharmer es am Beispiel des Bildhauers beschreibt, der vor dem Steinblock steht, den er bearbeiten soll – nur wenn er ein Bild des Endproduktes vor Augen hat, weiss er, welche Teile er wegschlagen muss.

Und so «geht» nach Horx Re-Gnose:

«Re-gnose beginnt mit dem Loslassen von toten Konstruktionen (Illusionen), mit denen wir die Realität bearbeiten, damit sie sich gefälligst so verhält, wie wir es wollen. In dieses Repertoire gehören auch unsere «gesammelten Ängste», jenes Poesiebuch der Befürchtungen, das wir ständig mit uns herumtragen, um es den anderen zu zeigen: Sieh mal, das bin ich!

Durch die Re-Gnose geben wir uns selbst die Zukunft zurück, die uns gehört.

Wir könnten Mut zur Angst lernen. Zur Unsicherheit. Und dazu, die Unsicherheit zu akzeptieren. Und dazu, durch die Angst hindurchzugehen.

In die wahre Zukunft.»

Visionäres Denken kann nicht analytisch erreicht werden, sondern erfordert das Gegenteil: die Erzeugung ganzheitlicher Bilder. Eine Vision zeichnet sich durch drei Eigenschaften aus: Sie hat Zielcharakter, sie spendet Lebensenergie und sie ist ganzheitlich. Zentrales Element der Vision ist dabei die Sinnstiftung für den Menschen, der diese für sich definiert.

Wenn wir vorausschauen oder vorausschauend zurückblicken, fällt mit grösster Wahrscheinlichkeit weg, dass es in Zukunft so sein wird, wie es früher war. Dass wir in die Normalität bzw. die frühere Normalität zurückkehren.

Dafür öffnet sich der Weg in ein «Neues Normal», wie es Matthias Horx nennt.

Wenn wir uns von Gewohntem, Bewährtem und Erlernten lösen können. Wenn wir uns von unseren Denkmustern, unserer Erwartungshaltung, unseren Routinen und Reflexen im Fühlen, Denken und Handeln und unseren inneren, gefestigten Einstellungen verabschieden können.

Mit durchaus positiven Auswirkungen, wie Matthias Horx schreibt:

«Im Neuen Normal würden wir nicht immer glauben, dass etwas, was schwierig erscheint, auch unmöglich ist. […]

Im Neuen Normal würden wir uns selbst und unserer Wirkung auf die (bessere) Zukunft mehr vertrauen.»

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