Es ist eines meines Lieblingsbücher: «Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse» von Nassim Nicholas Taleb.

Der «schwarze Schwan» beschreibt das Phänomen eines seltenen und unwahrscheinlichen Ereignisses – ein Ereignis, das vor seinem Auftreten nicht erwartet werden konnte, für dessen Auftreten im Nachhinein aber einfache und verständliche Erklärungen gefunden werden können.

Schwarze Schwäne waren bis ins 17. Jahrhundert in Europa unbekannt. Nachdem aber in Westaustralien 1697 tatsächlich schwarze Schwäne gesehen wurde, entstand die Redewendung als Metapher eines zwar unwahrscheinlichen, aber möglichen Ereignisses.

So wie die Entdeckung Amerikas auf dem Seeweg nach Indien, die (zufällige) Entdeckung der antibakteriellen Wirkung von Penizillin – aber auch neuere Ereignisse wie 9/11.

Oder die Coronakrise.

Nicht, dass ich damit die Verschwörungstheorien unterstützen will, welche aktuell zahlreiche Menschen auf die Strasse treiben!

Vielmehr zeigen der Aufbau des Hochsicherheitslabor für gefährliche Viren in Wuhan 2017 sowie Krisenübungen vor einigen Jahren in verschiedenen Ländern – z.B. in Schweden und der Schweiz – dass mit einer Pandemie schon seit längerem gerechnet wurde.

Und trotzdem wurden wir von dieser jetzt überrascht.

Weil wir das ignorieren was passieren könnte und uns stattdessen auf das konzentrieren, was passiert ist. Oder, wie Taleb es formuliert: «Dass wir durch Zufall hierhergekommen sind, heisst nicht, dass wir weiterhin die gleichen Risiken eingehen müssen.»

Diese Haltung ist auch im Moment heikel, tendieren wir doch darauf, die bisherigen Massnahmen als übertrieben zu beurteilen. Denn wissenschaftliche Untersuchungen der ETH Zürich zeigen, dass bei Verordnung des Lockdowns die Ansteckungskurve bereits abgeflacht, eine Reproduktionszahl von 1 bereits nahezu erreicht worden war.

Was heisst das im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Pandemie, auf eine erneute und mögliche Erhöhung der Ansteckungszahlen?

«Wenn wir an morgen denken, fassen wir das nicht in die Form von dem, was wir gestern über vorgestern gedacht haben. Wenn wir an morgen denken, stellen wir es uns einfach als ein weiteres Gestern vor. Der entscheidende Punkt ist weniger, dass wir dazu neigen, falsche Voraussagen über unser zukünftiges Glück zu machen, sondern vielmehr, dass wir nicht rekursiv aus früheren Erfahrungen lernen», schreibt Nassim Nicholas Taleb.

Er glaubt, dass wir unsere Geschichte bei jeder Erinnerung verändern, indem wir uns an Fakten erinnern, die zu unserer Erzählung passen, und jene vernachlässigen, die aus unserer Sicht nicht relevant sind. In unserer Erinnerung lernen wir auch aus Wiederholungen – auf Kosten von Ereignissen, die es bisher noch nie gegeben hat. Ereignisse, die nicht wiederholbar sind, werden vor ihrem Eintreten ignoriert und danach überschätzt.

Die Macht der Gewohnheit.

So wie die Gans, die über 1‘000 Tage gefüttert wird und dafür äusserst dankbar ist. Dies sagt jedoch wenig aus darüber, was am nächsten Tag geschehen wird, wenn sie die gleiche Hand schlachtet. Oder wie Taleb es ausdrückt: „Logische Fehler unterlaufen uns in der Realität, nicht in der Theorie.“ Denn das Fehlen von Beweisen, dass etwas erwartet werden kann, ist nicht der Beweis dafür, dass dies nicht erwartet werden kann. So wenig, wie ein fehlender Beweis für eine Krankheit ein Beweis für keine Krankheit ist!

Taleb geht noch einen Schritt weiter und beurteilt unser Vermögen, aus dem, was wir erlebt haben, zulernen als sehr kritisch. Denn, so sagte er,

  • lernen wir aus Wiederholungen und auf Kosten von Ereignissen, die es noch nie gegeben hat.
  • erinnern wir uns nur an Daten, die zu den Fakten oder unserer Erzählung passen.
  • respektieren wir das, was passiert ist ohne das, was hätte passieren können, zu berücksichtigen.
  • schreiben wir unsere Erfolge unseren Fähigkeiten zu, Misserfolge aber externen Ereignissen.
  • erklären wir, dass die Trauben, die wir nicht erreichen können, sauer sind.
  • interpretieren wir das Fehlen von Beweisen für eine Krankheit als Beweis für das Fehlen der Krankheit.
  • projizieren wir Vermutungen in die Zukunft statt Unerwartetes zuzulassen.
  • und suchen wir den Rat von Experten in Gebieten, in denen es vielleicht keine gibt.

Unser grundlegendes Problem ist, dass wir unser Wissen überschätzen und die Ungewissheit unterschätzen. Taleb glaubt denn auch, dass der wahre Test dafür, ob wir die Welt verstehen, Vorhersagen sind, nicht Erzählungen.

Was aber nicht so einfach ist, wie deutscher Chemiker Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger zitiert wird: «Die meisten Prognosen sind gut, aber die Zukunft kümmert sich wenig darum.»

Damit bleibt uns wohl nichts anderes übrig als auch in Zukunft mit schwarzen Schwänen zu rechnen…

2 Kommentare

  1. Lieber Walter
    „Wie bringt man Gott zum Schmunzeln? Erzähl ihm von deinen Plänen …“
    Menschen brauchen Gewissheit mehr als Akku und Brot, Netflix oder den Pizza-Service. Ich brauche die Gewissheit, dass meine Welt, so wie sie gestern war, noch die Welt von heute ist. Wir wachen auf, hier tut‘s weh, da tut’s weh: „Ach, ich bin‘s!“ Ich brauche die Gewissheit, dass ich noch derselbe bin wie gestern: nur dann gibt es einen Sinn. Dass nur Romane einen roten Faden haben, dass das Leben ungerecht, unfair, brutal sein kann, ohne dass ich das verdient habe, dass alles, was nicht erwartet wird trotzdem passieren kann – schwer zu ertragen. Wir machen die Augen zu und leben eine planbare und sinnvolle Fiktion …

    • Lieber Harald
      Ich gehe mit dir einig, plädiere aber trotzdem dafür, dass wir uns auch auf das vorbereiten, worauf wir uns nicht vorbereiten können. Oder es zumindest versuchen.
      Oder uns wenigstens gewiss sind, dass es das auch gibt.
      Ohne das loszulassen, woran wir uns halten – die Vergangenheit, dann nur dafür gibt es Gewissheit.

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